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Mittwoch, 20. März 2013

Vorurteile im Check (1): Wodka und Babuschkas

Привет!)

Heute soll's mal um etwas anderes gehen als sonst, nämlich um: Vorurteile, Stereotypen, etc.
Was ist wahr, was nicht, was ist nur ein Missverständnis und wo ist vielleicht etwas falsch hängengeblieben, als Opa über die Russen geschimpft hat?


Allgemein vorweg muss ich natürlich sagen, dass Vorurteile ja eigentlich nie stimmen können, weil es hierbei ja immer zu einer Pauschalbewertung kommt - dabei sind ja niemals alle gleich, wo kämen wir denn dann auch hin? Trotzdem benutzen wir Voruteile ja im Alltag um uns andere Menschen irgendwie zu definieren und sie einzuordnen. Was ja eigentlich eine extrem zeitaufwändige Aufgabe wäre, die dazu noch wichtig ist: wem können wir vertrauen?, bei wem kaufe ich ein?, lade ich ihn oder sie in meine Wohnung ein? - Dort überall nutzen wir Eindrucke Anderer oder Pauschalmeinungen über bestimmte Menschengruppen um unser Urteil schnell zu fällen.
Mit am stärksten ausgeprägt und am hartnäckigsten sind natürlich Vorurteile über Länder und deren Bevölkerung - und das erschwert interkulturelle Kommunikation leider ungemein. Daher werde ich versuchen, sie für Russland mal auszuräumen. Auch wenn oft in jedem Vorurteil oft mindestens ein Funken Wahrheit steckt, lohnt es sich trotzdem nochmal genauer drüber nachzudenken.


Hier kommen die bekanntesten Voruteile und Als-erstes-im-Kopf-Gedanken zu Russland:

1. In Russland ist es immer kalt.

Hachja, die Kälte - hier in Novgorod wo ich gerade wohne ist es echt ziemlich kalt, vor allem im Winter bei biszu -25° oder mehr! Und dabei bin ich noch nichtmal im allerhöchsten Norden, wie Murmansk oder so. Und auch in Sibirien herrscht ziemlich eisiges Klima, nicht umsonst liegt dort der kälteste Ort der Welt (Omjakon).
Allerdings, wenn man beachtet wie groß Russland doch ist, dann findet man auch Regionen, die volkommen anderes Klima haben. Stichwort: Sotschi (Сочи), eine russische Stadt, die in der subtropischen Klimazone liegt, auf dem gleichen Breitengrad wie Nizza. Dort wird es im Sommer total heiß und auch im Winter fällt selten Schnee. Aufjedenfall ist es dort wärmer als bei uns im Winter mit Durchschnittstemperaturen von 5 Grad + im Januar.

2. Ein Wodka am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen...

Scheinbar hält sich nichts hartnäckiger als die Vorstellung vom alltäglichen Wodka-Dauertrinken in russischen Familien. Durchaus ist das Wässerchen (rus. Водка, Verkleinerungsform von Wasser) ein Teil der russischen Kultur. Aber eben auch nur ein Teil. Dass Geschäftspartner und Gäste gerne mal mit "s-to grammow" (100 Gramm, in Russland niemals in Mililiter bestellen!) bewirtet werden kommt schon relativ oft vor, das Bild vom Dauertrinker ist aber in wirklich den meisten Fällen nicht zutreffend. Wodka ist vor allem in der mittleren bis älteren Generation beliebt, aber ist, natürlich, nicht das einzige alkoholische Getränk. Es wird auch Bier und Wein und anderer Schnaps getrunken. Frauen (ausgenommen die im Großmutteralter) halten sich generell auch mehr an Wein und Schampanskoe-Sekt. Und es gibt auch viele Menschen, die Alkohol vollkommen ablehnen.
Auch wenn viele es nicht vermuten, Bier und Wein sind, im Gegensatz zu uns, hier auch erst mit 18 Jahren zu erhalten. Um Wodka, Whiskey, etc. zu kaufen muss man sogar 21 Jahre alt sein (regional unterschiedlich). Wie die Regelungen eingehalten werden kann man natürlich nicht pauschal sagen, ich meine nicht überall wird sich daran gehalten. Aber so ist das auch in Deutschland, von daher.
Alkoholismus ist, wie anderswo auch, allerdings durchaus ein Problem, vorallem für ärmere Bevölkerungsteile. Meiner Einschätzung nach sieht man aber überhaupt nicht viele Betrunkene auf den Straßen.
Mit dem Wodka kann man das vielleicht wie in Deutschland mit dem Bier vergleichen: relativ viele trinken es, manche weniger, manche mehr, manche auch zuviel und andere überhaupt nicht. Aber ein Haushalt, in dem es nur Alkohol zu trinken gibt, kommt weder hier noch bei uns vor.  (Ausgenommen Studenten-WG's ;D)

3. Alle russischen Frauen sind unglaublich hübsch.

Das finde ich ja ein schönes Vorurteil :D Ich für meinen Teil würde hier sogar mehr in Richtung Zustimmung tendieren. Aussehen ist natürlich Geschmackssache, allerdings herrscht hier ein anderer Umgang mit dem eigenen Erscheinungsbild. Russische Frauen (und Mädchen) sind oft darauf bedacht ihre Weiblichkeit durch Kleidung und Kosmetika zu betonen. Röcke, Kleider, Haarschleifen und hohe Schuhe trifft man viel häufiger an als bei uns. Dabei ist Funktionalität oft zweitrangig und bei Minusgraden sind viele Frauen, nur mit dünnen Strumpfhosen bekleidet, scheinbar durchaus leidensfähig. Allgemein scheint ein gepflegtes Äußeres einen hohen Stellenwert einzunehmen - dabei haben Russinnen, meines Erachtens, ein unheimliches Talent sich zurecht zu machen, aber nicht zu überschminken oder kleidungsmäßig zu übertreiben. Und auch wenn es manchmal vorkommt, dass die Ein oder Andere nicht mein Typ hinsichtlich des Aussehens ist, muss ich doch fast immer anerkennen, dass sie trotzdem gepflegt und gut gekleidet ist.
Letztenendes ist das aber natürlich Ansichtssache.

4. Tee aus dem Samowar

Tee (russ. Чай, Tschai) ist wirklich ein wichtiger Bestandteil der russischen Kultur. Ständig trinkt man ihn, oft wird man hier und da auf eine Tasse Tee eingeladen. Ob morgens zum Frühstück, Mittags in der Schule, am Nachmittag - oder, sowie ich es ganz gern mache, nach dem Abendbrot zum gemütlichen Erzählen, ständig gibt es Tee. Die Russen unterscheiden sich dabei in Grün- oder Schwarzteetrinker, andere Sorten sind viel seltener. Kaffee wird sehr, sehr selten getrunken. In vielen Cafés kann man zwar welchen bekommen, aber meist zu großem Preis bei geringer Qualität.
Aus dem Samowar, dem großen russischen Teekocher, wird fast gar nicht mehr getrunken. Dort funktioniert das Prinzip so: Im großen Samowar-Topf wird das Wasser erhitzt und durch einen kleinen Hahn wird es dann in Tassen gefüllt. Nebenbei wird starker Teesud gekocht, der dann in geringer Menge mit dem erhitzten Wasser aufgegossen wird. So erhält man den fertigen Tee.
Heutzutage hat aber eigentlich jeder einen elektrischen Wasserkocher und Samowars findet man  nur noch bei Großveranstaltungen, in Hotel und Gaststätten und -natürlich- in jedem ordentlichen Souvenirshop.

Ein Samowar


5. Babuschkas mit Kopftüchern

Babuschkas (russ. бабушка, Großmutter, Oma) sind natürlich wichtiger Bestandteil der russischen Gesellschaft - viel öfter als bei uns sieht man alte Frauen auf den Straßen. Die meisten Damen im Rentenalter sind, gewollt oder nicht, ziemlich aktiv. Oft sieht man sie mit schweren Einkaufstüten langsam aber beharrlich ihrer Wege gehen, egal ob im Sonnenschein oder Schneesturm. Es gibt auch allerhand zu tun, denn Telefon- und andere Rechnungen müssen auf der Post bezahlt werden, für einen Einkauf muss man meist in verschiedene Läden laufen. Und die eigenen Kinder haben dank Arbeit und anderer Sorgen meist gar keine Zeit sich um ihre Eltern zu kümmern, die längst im Rentenalter ihre Ruhe genießen sollten. Aber die Großmütter nehmen dies selten übel und helfen auch ihren Kindern wo es geht - sie kommen zum Aufräumen, Kochen, Enkel beschäftigen und diese zu Terminen begleiten. Das ganze Leben schwer gearbeitet, hören sie auch jetzt nicht auf. Zumindest im Sommer auf der Datscha den Garten pflegen, irgendetwas gibt es ja immer zu tun.
Außerdem gibt es auch viele Menschen, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch arbeiten, für einen geringen Lohn, da aber sonst die Pension nicht ausreicht. So sieht man in Museen in fast jedem Raum eine alte Dame sitzen oder auch die Einlasserin aus unserer Schule wäre in Deutschland schon längst in Rente. Oder die Alten, die auf Märkten und an Straßenecken in Eiseskälte stundenlang selbstgesammelte Beeren und eingelegte Pilze, Gurken, oder Tomaten verkaufen.
Ein Kopftuch, wie in Märchen und Geschichten dargestellt, haben dabei nur die Wenigsten auf. Ich denke im Sommer und auf dem Land kommt das aber ein bisschen häufiger vor.

So, das waren jetzt erstmal 5 der größten Vorurteile über Russland. Aber (leider) sind das noch längst nicht alle!
Ich plane demnächst noch ein paar Teile, unter anderem mit den Themen:

Rolle der Frau, Kommunismus und Konservatismus, Soljanka, Balalaika, Schapka-Mützen, Alles nur provisorisch, Martrjoschkas, Pelzmäntel und Downloadparadies.

Sollte noch jemand die Wahrheit über ein andere Gerücht oder Vorurteil herausfinden wollen,
schreibt mir auf: heinrich.bloginput@yahoo.de oder auf Facebook.

Hier noch ein Link zu einem Podcast des Deutschlandfunkes, der sich mit dem Unterschied in der Medienberichterstattung in Deutschland über Russland und die USA beschäftigt.
Unheimlich empfehlenswert, wer 45 min Zeit hat, unbedingt anhören



Auf die Idee mit den Vorurteilen hat mich übrigens Chris gebracht, der gerade für ein Austauschjahr in Finnland ist. Er schreibt auch einen Blog (etwas professioneller als ich): Finnland-Blog

Ansonsten fahr ich morgen nach Moskau und dann weiter nach Perm, Jekaterinburg und zum Meteoriten nach Tscheljabinsk. Ich nehm meinen Computer mit und Berichte!

Russisches Wort des Tages:

предубеждение (predubeschdenije) - Vorurteil

From Russia with Love

Heinrich

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